Eine wundersame Wahl

Das Nationale Olympische Komitee kürt Leipzig zur Bewerberstadt für Olympia 2012. Politische Motive entschieden zugunsten der Heldenstadt. Hauptkonkurrent Hamburg hat das Nachsehen

„Wir glauben an ein zweites Wunder“, so Leipzigs OB Wolfgang Tiefensee weitsichtig

aus München FRANK KETTERER

Wo immer Wolfgang Tiefensee (SPD) auch auftauchte am späteren Samstagnachmittag, Olympia wich nicht von seiner Seite. Die Dame in Silber war dabei, als der Leipziger Oberbürgermeister freudig erregt in die Fernsehkameras lächelte, sie stand daneben, als er in die Mikrofone jubelte, und sie assistierte ihm, als er seinen Gefühlen freien Lauf ließ.

„Es ist ein grandioses Gefühl, gesiegt zu haben“, sagte Tiefensee, und daneben stand natürlich die schöne Olympia und strahlte mit ihm um die Wette. Davor hatte die sportliche Dame, die im richtigen Leben Janet Pilz heißt, in Leipzig BWL studiert und bei einem Casting entdeckt wurde, etwas getan, was den ganzen Freistaat Sachsen in Verzückung versetzen sollte: Am Ende eines netten Filmchens war sie durch die Straßen Leipzigs gerannt, und die Menschen waren ihr gefolgt. Erst die Briefträgerin, dann der Rechtsanwalt, später Buchhändler sowie Bauarbeiter. Als der Film längst zu Ende war und Janet Pilz leibhaftig auf der Bühne im großen Ballsaal des Münchner Hilton auf der Bühne stand, folgten Olympia auch noch die Damen und Herren des Nationalen Olympischen Komitees (NOK).

Es war 16.40 Uhr am Samstag, als auch Bundeskanzler Gerhard Schröder aufs Podium stieg und sich von NOK-Präsident Klaus Steinbach feierlich den Umschlag überreichen ließ, in dem geschrieben stand, mit welcher deutschen Stadt sich das NOK für die Olympischen Spiele 2012 bewerben möchte. Schröder machte es kurz. Er sagte nur: Leipzig. Der Rest war Jubel, zumindest in der Delegation des Freistaats. Drum herum, in den Lagern von Stuttgart, Frankfurt, Düsseldorf und Hamburg setzte hingegen der große Katzenjammer ein, auch Tränen der Enttäuschung flossen. Neben der effektvollen Strahlkraft von Frau Olympia hatte Leipzig freilich mehr zu bieten.

Altbundespräsident Richard von Weizsäcker war nach München gekommen, um vor dem 135-köpfigen Wahlvolk des NOK für Leipzigs gute Gründe zu werben. „In der Zeit des Kalten Krieges hat die ganze Welt hierher geblickt“, erinnerte sich von Weizsäcker an die friedliche Revolution von 1989, die in Leipzig begann und mit dem vereinigten Deutschland endete. Die historische Botschaft war das Leitmotiv der Leipziger Bewerbung, recht gefühlvoll auf die Bühne gebracht. „Ich stünde nicht hier, wenn es die Mauer noch gäbe“, eröffnete Tiefensee die viertelstündige Präsentation, bevor sich im Bewerberfilm die wuchtigen Klänge von Bachs D-moll-Toccata mit den „Wir sind das Volk“-Rufen von einst vermischten. Dass Leipzig, als Hauptstadt des DDR-Sports, freilich auch auf diesem Sektor reich an Geschichte ist und an Erfolgen, wurde ebenfalls nicht vergessen: Michael Ballack kam zu Wort, auch Katharina Witt und Franziska van Almsick. Sie alle gaben den Leipziger Olympia-Slogan zum Besten: Spiele mit uns.

In den Debattenzirkeln hatten sich nach Bekanntgabe des Ergebnisses die wichtigen Leute indes schnell darauf verständigt, dass es sich bei Leipzig in erster Linie um eine politische Wahl gehandelt habe; dass zuvor Rostock bereits im ersten Wahlgang mit 69 Stimmen den Zuschlag für die Segelwettbewerbe erhalten hatte, bestätigte diese Ahnung. „Das ist gelebte Wiedervereinigung“, formulierte es Hans-Georg Moldenhauer, Präsident des Nordostdeutschen Fußballverbandes und NOK-Mitglied. Ein kräftiger Schuss Sportpolitik wird bei dem Entscheid freilich schon auch dabei gewesen sein: Denn das Votum pro Leipzig dürfte zu gutem Maße auch eine Wahl gegen Hamburg und Düsseldorf gewesen sein; beide Kontrahenten hatten sich im Vorfeld der Wahl allzu öffentlich behakt.

Vor allem Düsseldorf war mit seinem Wahlhelfer Ulrich Feldhoff zu sehr in die Negativschlagzeilen gerutscht. Feldhoffs oft dementierte Ankündigung, die Mehrheit der 32 Verbandsfürsten auf die Seite der Rhein-Ruhr-Bewerbung gezogen zu haben, ging ziemlich nach hinten los. Zwar versuchte der mächtige Kanu- und DSB-Vizepräsident mit Bekanntgabe seines Stimmverzichts am Freitag noch die Stimmung zu kippen, gelungen ist ihm das aber nicht mehr.

„Die ganzen Dinge in der Presse waren unserer Bewerbung sicherlich nicht dienlich“, musste am Ende auch Dressur-Olympiasiegerin Isabelle Werth, die für Düsseldorf in den Ring gestiegen war, eingestehen. Düsseldorfs OB Erwin hingegen zeigte sich enttäuscht darüber, dass die ganze Kungelei nicht aufgegangen war: „Einige haben uns mehr zugesagt, als man aus den Stimmen ablesen kann.“

So war im dritten Wahlgang für seine hochgehandelte Stadt das Ende der Fahnenstange auch schon erreicht: mit 35 Stimmen. Stuttgart (15 Stimmen) und Frankfurt (16) waren, ihrer farblosen Bewerbung entsprechend, bereits in den beiden Wahlgängen zuvor ausgeschieden. Hamburg erwischte es danach. Auch der Hansestadt hatten die NOK-Delegierten offensichtlich so manchen Giftpfeil nicht vergessen. Am Ende hatte Leipzig mit 81:51-Stimmen die Nase vorn – und Wolfgang Tiefensees Worte bei der Leipziger Präsentation noch mehr Gewicht: „Wir glauben an ein zweites Wunder“, hatte er dem Wahlvolk zugerufen, Olympia an seiner Seite.